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ASCHAFFENBURG. Kasem Hoxha ist Schauspieler, war vergangenen Sonntag im Tatort mit Til Schweiger zu sehen und wirkte auch schon in diversen Kinofilmen mit. Sein Weg in die Schauspielerei ist selbst ein kinotaugliches Drama mit einer langen Spielzeit in Aschaffenburg. PrimaSonntag sprach mit dem 44-Jährigen über die Kindheit in Tirana, seine Flucht in die deutsche Botschaft und den harten Weg vom Flüchtling zum Schauspieler.

 

 

In Aschaffenburg ging es dann auch mit der Schauspielerei los. War das schon immer Ihr Traum und wo haben Sie genau Unterricht genommen?


Irgendwann kam es doch wieder das Gefühl, Schauspieler werden zu wollen. Schon als Kind wollte ich Schauspieler werden, das war ein Wunsch aus der Tiefe. Und so kam ich zufällig in Aschaffenburg an der Schauspielschule Actors Company vorbei, ich war schon über 30 und damit fast zu alt. Torsten Stoll, der Schulleiter und später mein Lehrer, lud ein an einem Schauspielerseminar teil zu nehmen, um zu sehen ob ich tatsächlich geeignet dafür wäre und ob es das ist was ich tatsächlich wollte. 

 

Der Schauspielerjob ist nicht unbedingt so rosig, wie sich das oft anhört. Es ist eine Herausforderung, denn man muss bereit sein seelisch und körperlich einen gewissen Inhalt von sich Preis zu geben. Will man dieses Handwerk richtig erlernen, erfordert das Disziplin, Mut, Durchhaltevermögen, Charakter, Nerven und eine große Portion an Flexibilität und Lebensfreude. Nach diesem Seminar begann ich dort meine Schauspielausbildung.

 

Sie wurden in der albanischen Hauptstadt Tirana geboren – keine einfache Zeit, oder?


Ja genau, ich wurde am 12. August 1968 in Tirana, der Hauptstadt von Albanien, in ganz armen Verhältnissen geboren und bin dort auch unter diesen Bedingungen aufgewachsen. Dies betraf fast alle meiner Generation aus Albanien. Das albanische Volk litt zu dieser Zeit unter der kommunistisch geprägten Herrschaft des tyrannischen und stalinistisch gepolten Diktators Enver Hoxha, der das Land von der Außenwelt abschirmte und in den wirtschaftlichen Bankrott führte. Seine grausamen Regierungsmethoden, wie der willkürliche Einsatz der Todesstrafe, Folter und Gefängnis versetzten die Bevölkerung in Angst und Schrecken. Unter dieser Herrschaft wuchs ich als eines von fünf Kindern auf. 

 

Die schlechten Zeiten in meiner Kindheit und Jugendzeit überwogen leider bei weitem die guten.

Wie sehr hat der Dienst beim Militär sie geprägt?


Der Militärdienst war einer von mehreren extremen Grenzerfahrungen in meinem Leben und dauerte zwei Jahren. Im Jahr 1988 trat ich diesen im nördlichsten Teil Albaniens, inmitten der Berge an. Hier entschied der Überlebenswille eines jeden Soldaten, ob er diese Zeit überstehen konnte. Der harte Drill bei gleichzeitig mangelhafter Verpflegung und katastrophaler medizinischer Versorgung, die unangemessene Kleidung bei Kälte, Schnee und Regen im Winter und glühender Hitze im Sommer lies nur die stärksten Männer ungebrochen. Deserteure erwartete die Todesstrafe. Ich hatte Glück und erhielt wegen meinem überdurchschnittlichen Geschick im Morsen und Telegraphieren einen Platz in der Telegraphenstation.

Sie sind 1990 mit einer Gruppe in die deutsche Botschaft geflüchtet, mussten alles zurücklassen – 

 

wie schwer war das alles für Sie?


Diese Frage werde ich ausführlicher beantworten, denn dieser Schritt war der Wendepunk meines Lebens: Es war direkt nach meinem Militärdienst. Da schloss ich mich im Juli 1990 einer Protestgruppe an, die Fluchtpläne aus Albanien schmiedeten. Wir waren motiviert durch die Aufstände in Osteuropa und Berlin, die sich gegen kommunistische Regime richteten. 

 

Im Juli 1990 entscheid sich unsere Gruppe mit anderen Flüchtlingen die deutsche Botschaft in Albanien zu erreichen. Das Ziel dabei war die deutsche Botschaft mit möglichst mehr als 10. 000 Leuten zu stürmen, um die westlichen Medien auf uns aufmerksam zu machen. Natürlich hat diese Anzahl an Freiheitskämpfern die deutsche Botschaft nicht erreicht, sondern nur ca. 3.000. Ich war einer der Glücklichen von ihnen. 

 

Aber es war sehr schwer, denn fast eine Woche waren wir in der deutschen Botschaft isoliert und mussten dort bei ca. 40 Grad Hitze ausharren. Die meisten von uns, so wie ich auch, blieben diesen Zeitraum ohne Essen und Trinken, denn die Botschaft war natürlich nicht auf die Versorgung so vieler Menschen eingerichtet und die albanische Seite hatte alles Erdenkliche getan, um die Botschaft versorgungstechnisch von der Außenwelt abzuschneiden. 

 

Die Mitarbeiter der Botschaft haben alles in ihrer Macht stehenden unternommen, um uns am Leben zu halten. Im Nachhinein möchte ich sagen, sie waren für mich die echten Helden in diesem Ausnahmezustand! Das zermürbende für uns Flüchtlinge war dabei, dass wir keine Ahnung hatten, wie lange wir diesen Zustand dort so auszuhalten hatten. Nach drei bis vier Tagen hatte man das Gefühl nicht mehr durchhalten zu können. Wir wussten nichts, saßen dort drin, ohne zu wissen, wie lange noch? Alles ungewiss! Irgendwann schaltet man innerlich etwas von sich ab oder aus und denkt sich nur noch „okay, das hier ist mein Schicksal, dann ziehe ich das jetzt durch“. 

 

Es gab neben uns männlichen auch weibliche Studenten. Zusammengepfercht, wie wir alle waren, bildeten wir z.B. einen Kreis im Hof, wenn jemand auf Toilette musste, -Rücken an Rücken- zur Mitte hin. Dann stand man dort, weinend, sich schämend und hat sich erleichtert… Da kamen uns die Zweifel, ob das alles richtig war. Ich hatte einen starken Überlebenswillen, wenngleich ich mich, wie bei der Bestürmung der Botschaft damit abfand, dass diese Situation mein „Aus“ bedeuten konnte… Ich hatte losgelassen, alles… Unsere damalige kommunistische Regierung hatte versucht, alle Wege abzusperren, damit wir gezwungen waren, wieder herauszukommen. Noch dazu wurde das Volk durch die einschüchternde Propaganda und dementsprechende Medien total verrückt gemacht. 

 

Es wurden z.B. Familienangehörige an die Botschaftsmauern geschickt, die dort geweint und geschrien haben. Einige von uns konnten das auch nicht aushalten, Mütterchen und Väterchen so verzweifelt zu sehen und haben aufgegeben. Ich hatte nur ganz engen Vertrauten mein Fluchtvorhaben mitgeteilt, dazu gehörten mein ältester Bruder und meine Schwester. Hätte sich jemand aus Versehen verplappert wäre ich im Gefängnis gelandet. Ich musste also meine Familie und Freunde ohne Abschied bei Nacht und Nebel verlassen. Nur weil der Himmel es so wollte, konnte ich unter schwierigsten Umständen alle Hürden überwinden und die Botschaft erreichen. 

 

Die Wende kam nach sechs Tagen. Es war das Finale der Weltmeisterschaft Deutschland gegen Argentinien. Da kamen die Mitarbeiter der Botschaft mit Fahnen und haben uns zwei gute Nachrichten gebracht: Die erste: „Deutschland ist Weltmeister geworden“ und die Zweite: „ihr dürft heute raus aus Albanien!“ Es war unbeschreiblich, ein überwältigendes Gefühl! Wie Reptilien, die aus einer jahrelangen Starre erweckt werden, erwachten wir innerhalb von Sekunden durch diese befreiende Botschaft. Wir wurden dann 40 Kilometer zur Hafenstadt nach Durres gebracht und von dort ging es mit einer Fähre in die Freiheit nach Italien. Alles wurde von der Nato organisiert. Das waren Bilder auf dem Weg zum Hafen… 

 

Wir waren ergriffen und schockiert über die Kulisse, die sich uns da bot. Die Leute hinter den Sperren haben gekrischen, geweint und getobt. Sie hatten sich an die Scheiben der Busse geschmissen, nach dem Motto: „Kommt raus!“. Die dachten nämlich, man will uns töten, als Sklaven verkaufen… Schließlich wurden wir durch die NATO gerettet und aus Albanien herausgeholt und auf andere Länder verteilt. So kam es, dass ich im Sommer 1990 zum ersten Mal einen ausländischen Boden betrat. Erst kam ich nach Regensburg und nach einem Monat nach Aschaffenburg.

 

Nach ihrer Flucht in die Botschaft und der Befreiung durch die NATO kamen sie nach Aschaffenburg. Wie ging es hier weiter?


Daran kann ich mich sehr gut erinnern. Ich machte mich zusammen mit ein paar Landsleuten auf Arbeitssuche und bekam meine erste Stelle in der Papierfabrik Aschaffenburg/Damm. Es waren die ersten Schritte in Deutschland und keiner von uns konnte ein Wort Deutsch. Hier gibt es eine nette Geschichte zu berichten:

 

Ich musste jeden Tag zu einem Herren der Klaus genannt wurde. Er teilte uns die tägliche Arbeit zu. Zu allem was Klaus uns sagte, antworteten wir immer nur mit einem „Ja!“. Klaus sagte dann zu mir, „komm mit!“ Er fuhr mit dem Fahrrad von Halle zu Halle, ich rannte hinterher. Und er sagte immer: „Hier sauber machen“, dann bei der nächsten Halle, „und hier sauber machen“. So gingen wir alle Hallen durch. 

 

Wir vier albanische Arbeiter machten uns sofort an die Arbeit. Es erschien uns wahnsinnig viel Arbeit für einen Tag. Wir schufteten also von morgens früh bis zum späten Abend. Wir machten an dem Tag keine Pause, sonst wären wir nie fertig geworden. Nach dem wir es endlich geschafft hatten, mussten wir sogar am Schluss über das Werktor klettern, weil es so spät geworden und alles schon geschlossen war. Am nächsten Tag ging ich wieder wie gewohnt zu Klaus und fragte wie immer nach einem neuen Arbeitsauftrag. Der war ein bisschen irritiert als er mich in seinem Büro sah. Er schwang sich dann auf sein Rad und fuhr fort, um das Ergebnis unserer Arbeit vom Vortag abzuchecken. Auf einmal fiel Klaus vor Lachen auf die Knie. Er hatte uns die Arbeit für eine ganze Woche gezeigt, die wir an einem Tag erledigt hatten, ich hatte ihn nicht richtig verstanden.

 

Später wechselte ich innerhalb der Firma zum Papiermacher. 1993 lernte ich Katrin Briskorn kennen. Sie und ihre Familie nahmen mich mit ganzem Herzen auf und bestärkten mich in meiner weiteren Entwicklung. Später folgten eine Ausbildung zum Zahntechniker und schließlich der Sprung in die professionelle Schauspielwelt.

 

Gibt es heute noch eine Verbindung in den Aschaffenburger Raum?


Ja die gibt es. Ich habe Freunde dort und meine „Adoptiveltern Jochen und Juliana Briskorn“, wie ich sie liebevoll nenne, die ich regelmäßig besuche.

Wie kam es dann zu den ersten Rollen?

Das ist lange her, meine erste Filmrolle war vor 12 Jahren, es war für einen Diplomfilm bei der KHM Köln (Kunsthochschule für Medien Köln), da ging ich noch zur Schauspielerschule. Im TV hatte ich meine erste Rolle für die Actionserie „Alarm für Cobra 11“.

 

Sie leben heute in Köln, was vermissen Sie aus der Aschaffenburger Zeit?


Vieles, auch wenn Aschaffenburg ein großer Kontrast zum Großstadtleben in Tirana war oder zu Köln ist. Es dauerte damals nicht lange und Aschaffenburg wurde für mich wie eine zweite Heimat. Die Aschaffenburger sind ein fleißiges Volk, wie fast alle in Bayern und das mochte ich. Hier bekam ich die Chance etwas im Leben zu werden. Einigen Menschen dieser schönen Stadt habe ich vieles zu verdanken! In Aschaffenburg fing alles an, hier bin ich eingetaucht, in eine neue Welt. Das vergesse ich nicht. Vor allem bin noch sehr verbunden mit vielen Aschaffenburger Freunden, Landsleuten, ehemaligen Arbeitskollegen. Außerdem leben hier die wundervollen Eltern von Katrin, meine „Adoptiveltern“, die Familie Briskorn aus Nilkheim, denen ich auch wahnsinnig viel zu verdanken habe.

 

Die meisten Ihrer Filme sind Krimis bzw. Actionfilme. Liegt Ihnen das besonders und vor allem die Rolle des Bösen?


Na ja, eigentlich nicht unbedingt, aber momentan hat man mich für diese Rolle favorisiert. Ich denke, es kommen auch andere Rollen, ich will jedenfalls so viele Facetten wie möglich erleben.

Wie kam es zu ihrem Engagement im neuen Tatort mit Til Schweiger? Erinnerte er sich an Sie, weil er Sie in seinem Kinofilm „Schutzengel schon erschießen durfte?

Nicht weil er mich da erschossen hat. Es ist auch bekannt, dass Til gerne immer wieder an die Leute zurückgreift, mit denen er gute Erfahrungen gemacht hat. Und noch dazu kam, dass wir gemeinsam sehr fleißig und professionell für den Film “Schutzengel“ gearbeitet haben. 

 

Vor den Dreharbeiten musste ich zusammen mit 10 anderen Schauspielern für meine Rolle eine extra professionelle, mehrwöchige Waffenausbildung bei Paul Maurice (CIA / Spezialeinheit USA) absolvieren. Til Schweiger hat mich aber nicht selbst angerufen. Das lief über den großartigen Caster Emrah Ertem, dem ich auch vieles zu verdanken habe. In diesem Tatort wollten viele Schauspieler mitwirken und es wurde sehr stark gecastet. Ich persönlich musste nach Berlin zum Casting. Es gab nach dem Casting eine kleine Crew, wie der Regisseur, Caster, Produzent, NDR-Chefredakteur, Til Schweiger etc. Alle zusammen haben über der Besetzung entschieden. Til war mein Befürworter.

 

Der Schweiger-Tatort wird von vielen gefeiert, aber auch stark kritisiert – wie ist Ihr Fazit?


Die Geschmäcker sind sehr unterschiedlich und es wird immer ein Pro und ein Kontra geben, egal was man macht. 12.6 Millionen Zuschauer sprechen auch für sich und das bei einem Markanteil von 36,5%. Wahnsinn! Für einen Tatort war dies der beste Wert seit dem 25. September 1993. Mein Fazit ist, dass es im Vergleich zur bisherigen Serie eine andere Art von Tatort ist. Es wurde nicht nur um den Schreibtisch herum ermittelt. Der Film erhält für mich durch das mehr an Action und Spannung eine neue Lebendigkeit. Die neue Ausrichtung der Dialoge vermittelt Pfiff und geht mit der Zeit. So entsteht ein moderner Tatort eben. Es muss ja nicht für jeden Geschmack sein, dazu sind wir Menschen doch zu unterschiedlich und das ist auch gut so.

 

Was können wir in Zukunft von Ihnen erwarten?


Ich werde vom 8. April bis Mitte Juni in Köln und Holland für den Kinofilm „Nicht mein Tag“ mit Moritz Bleibtreu in der Hauptrolle mitwirken.

 

Möchten Sie noch Bekannte aus Aschaffenburg grüßen?

 

Oh ja sehr gerne, die Liste würde sehr lang werden, wenn ich alle lieben, tollen Menschen, die mir in Aschaffenburg besonders am Herzen liegen einzeln grüßen würde. 

 

Aber ganz besonderes möchte ich Katrin, meine bis heute treue Wegbegleiterin und ihre liebevollen, großartigen Eltern, Juliane & Jochen Briskorn, meine „Adoptiveltern“ grüßen! Sie haben an mich geglaubt und mich bedingungslos unterstützt.

 

Weiter möchte ich Torsten Stoll, Schulleiter und mein Schauspiellehrer von der Actor’s Company Schauspielerschule grüßen, neben Maike Mai, meiner ehemaligen Schauspielerdozentin und alle anderen tollen Dozenten der Schule.

 

Das ehemalige PWA Fabrik-Team und die Verantwortlichen dort, denn die gaben mir eine Chance. Neben andern möchte ich noch einige befreundete Landsleute grüßen: Klejda und Mentor Durmischllari, die Brüder Bujar und Fatbardh Xhaferaj, denn das sind die Menschen die mir bei meiner Achterbahnfahrt durchs Leben immer wieder unter die Arme gegriffen haben!

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